Blätter
Neue Blätter sind weiß
weiß wie neuer Schnee man weiß noch nicht was für Spuren entstehen wer da hingeht, in die Ferne zieht, was ihm geschieht, was er tut, was er denkt, wie er fühlt ...
Wie ein Adler sehe ich ihn, scharf, ohne Mitleid.
Er kämpft durch den Schnee mit seiner letzten Kraft, sein Weg ist eine Wunde, die Schneehaut ist zerrissen, tief geschlagen, er ist eine Krankheit auf dem Land.
Er ist nicht jung, und noch nicht alt, er denkt nicht mehr, er will die Wärme, Feuer im Sinn, Hunger nagt an seinen Knochen, Wölfe warten, still und tödlich, bei den Tannen.
Zurück kann er nicht gehen, zurück will er nicht sehen, er flieht zur Zukunft, erhofft ein Wunder.
Wie ein Adler ziehe ich die Kreise sehe ich das Land, sehe seine Seele, sie ist wundgeschlagen, Seelenblut die Schleifspur, segnet das Land, wird den Wölfen schmecken, bald wird es geschehn ...
Wie ein Adler, wie ein Geier, doch ich bin ein Drachen, kann zum Engel werden, meine Wahl, mein Recht.
Es ist so einfach, gut zu sein; es ist so einfach, sich zum Held zu denken, sich zum Sturzflug anzusetzen, ihn mit Liebe zu umfalten, ihn zu wärmen, ihn zu tragen, ihm zu geben, was er will.
Es ist so hart, den Flug zu halten, Hochspiralen, sauber, fein, warten sehen fühlen wissen weinen
Hier kommen die Wölfe.
Er hat keine Chance.
Der Schnee explodiert, wird rosenrot, es dauert nicht lange.
Nun ist es vorbei, ist das vorbei, das Fest der Wölfe geht in die Nacht hinein.
Und eine kleine, wunde Seele wandert im Schnee, weiß nichts vom Fliegen, weiß nichts vom Licht, kennt mich noch nicht, und wenn ich komme, wird sie sich freuen.
Silvia Hartmann
August 2011
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